Leo Wachenheimer wurde am 23. März 1897 in Biebesheim als Sohn einer alteingesessenen jüdischen Familie geboren. Sein Vater Mayer Wachenheimer betrieb in der Rathausgasse 4 eine gut gehende Metzgerei und einen Viehhandel und war langjähriges Vorstandsmitglied der örtlichen jüdischen Gemeinde. Auch Leo Wachenheimer lernte das Metzgerhandwerk und arbeitete in der Metzgerei seines Vaters mit. Als 1914 der Erste Weltkrieg begann, wurde er mit nur 17 Jahren zum Militärdienst einberufen. 1927 heiratete er Minna Alexander, 1929 und 1931 kamen die Kinder Charlotte und Siegbert zur Welt.
1933 geriet Wachenheimer in Konflikt mit SA-Mitgliedern aus Biebesheim: Da sich ein älterer Bauer im Ort entschlossen hatte, seinen kleinen Bauernhof aufzugeben, verkaufte dessen Sohn die letzte Kuh an seinen Freund Leo Wachenheimer. Als es diesem gelang, das Tier gewinnbringend weiterzuverkaufen, erregte das den Ärger der örtlichen SA. Um Wachenheimer zu schikanieren, setzten sie seinen Freund unter Druck, den Gewinn aus dem Verkauf (ca. 100 Mark) nachzufordern. Doch der Freund weigerte sich.
Im November 1933 fuhren SA und SS-Männer aus Darmstadt und Biebesheim vor dem Haus von Leo Wachenheimer vor. In seinem 1956 gestellten Antrag auf „Wiedergutmachung“ beschrieb Wachenheimer seine Verhaftung: „Man überstieg das Hoftor, drückte die Haustüre ein und durchsuchte das Haus. Es waren meiner Schätzung nach ungefähr 30 Personen. In meiner Angst sprang ich aus dem Fenster auf das Dach eines Nachbarhauses, man schoss mir nach ohne zu treffen. Aus Angst, es könnte meiner Familie etwas passieren, kam ich zurück. Daraufhin schleppte man mich in ein Auto und fuhr los. Ich war nur notdürftig gekleidet. Unterwegs befahl man mir auszusteigen. Man stieß mich aus dem Auto und befahl mir wegzugehen, aber ich ging nicht von der Stelle, da ich ahnte, was man mit mir vorhatte. Man schoss einige Mal in die Luft, um mir Angst zu machen. Nach einer Besprechung unter sich befahlen sie mir wieder ins Auto zu steigen.“
Die Männer brachten Wachenheimer in das Gefängnis in Darmstadt. Schon auf dem Weg dorthin wurde er im Auto mit Gummiknüppeln brutal geschlagen. Im Keller des Gefängnisses wurde er weiter schwer misshandelt, bis ein Gefängnisaufseher den Schlägern Einhalt gebot. Am nächsten Tag wurde er in das KZ Osthofen überstellt, wo er einige Tage später von zwei Beamten der Staatsanwaltschaft Darmstadt aufgesucht wurde, die ihn zu dem Vorfall befragten. „Sie hätten mich dann nach Hause entlassen, ich war aber doch so blau und schwarz geschlagen, dass es wegen der Leute im Dorfe, die so etwas nicht sehen sollten, unmöglich war“. Erst nach einem Monat wurde er entlassen. Nach seiner Rückkehr nach Biebesheim kamen zweimal SS-Männer zu ihm und versuchten erfolglos, ihn dazu zu bringen zu unterschreiben, dass sie ihn nicht misshandelt hätten.
Durch den Boykott jüdischer Geschäfte brachen die Einnahmen der Metzgerei Wachenheimer stark ein. Nachdem er fast sein gesamtes Eigentum weit unter Wert verkauft hatte, wanderte Leo Wachenheimer im Dezember 1935 mit seiner Frau und seinen Kindern nach Südafrika aus. Das für die Auswanderung vorausgeschickte Gepäck erreichte seinen Bestimmungsort nicht, so dass die Familie nahezu ohne Besitz das Land verließ. Den Auswanderern folgten schon bald die Eltern von Minna Wachenheimer und mehrere weitere Mitglieder der Familie Alexander. Die Eltern von Leo Wachenheimer blieben zunächst in Biebesheim zurück und mussten von ihren Ersparnissen leben, da sie keine Einkünfte mehr hatten. Im Februar 1938 emigrierten auch sie zusammen mit anderen Familienmitgliedern zu ihrem Sohn nach Südafrika.
Ohne Kenntnisse der Landessprache war es für den gelernten Metzger und seine Familie schwer, in Südafrika Fuß zu fassen. 1936 eröffnete er in Johannesburg eine Metzgerei, doch es dauerte einige Jahre, bis die Familie von den Einnahmen leben konnte. Da er auch seine Eltern und Schwiegereltern finanziell unterstützen musste, lebte die Familie in einfachen Verhältnissen. Später gelang es Wachenheimer, eine Fabrik für koschere Wurstwaren aufzubauen, die ihm ein gutes Einkommen verschaffte.
Um das Jahr 1964 besuchte Leo Wachenheimer zweimal seinen ehemaligen Heimatort Biebesheim. Am 23. Januar 1969 starb er im Alter von 71 Jahren in Johannesburg.
Leos Cousin Josef Wachenheimer aus Biebesheim wurde 1934 unter dem Vorwurf des „Zinswuchers“ ebenfalls in das KZ Osthofen verschleppt und dort für kurze Zeit inhaftiert. Er flüchtete nach der Reichspogromnacht 1938 mit seiner Familie in die USA. Auch den fünf Geschwistern von Leo Wachenheimer gelang die Auswanderung. Sein Vater Mayer starb 1938 kurz nach seiner Ankunft in Südafrika.
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